Sämtliche Geschöpfe besitzen freien Willen, nach dem sie ihre
Lebensbahn gestalten können. Hieraus entsteht die bunte Mannigfaltigkeit der Welten mit
allen ihren Gegensätzen und Entwicklungsstufen.Die Geschöpfe werden eben nicht durch
einen Kreislauf, der nach mehr oder minder langen Zeiträumen in dieselbe Bahn
zurückkehrt, dazu getrieben, dies oder jenes zu tun oder zu begehren; vielmehr richten
sie den Lauf ihrer Handlungen dahin, wohin sie ihr persönlicher freier Entschluss lenkt
(princ. II 3,4).
Die Fähigkeit zur richtigen Entscheidung sah Origenes angesichts der
Einflüsse der »feindlichen Mächte« auf unsere eigenen Entscheidungen wie folgt:
Es gibt Verfehlungen, die wir ohne jegliche Beeinflussung durch die
feindlichen Mächte begehen; es gibt aber auch Verfehlungen, die sich auf ihr Anstiften
hin ins Ungeheure und Maßlose steigern. Die »Gedanken«, die »aus unseren Herzen
kommen« (vgl. Mat. 15, 19; Mark. 7,21) sei es, dass wir uns irgendwelcher Ereignisse erinnern, sei es, dass wir
irgendwelche Dinge oder Zusammenhänge betrachten , gehen, wie wir selber merken, manchmal aus uns selbst hervor,
manchmal werden sie von den feindlichen Mächten erregt; zuweilen aber werden sie uns von
Gott oder von seinen heiligen Engeln eingegeben.
Diese Aufgliederung könnte
so Origenes als
willkürliche Erfindung erscheinen, bestätigte sie sich nicht durch das Zeugnis der
Heiligen Schrift selbst: Dass ein Gedanke aus uns selbst entstehen kann, bezeugt David in
den Psalmen (vgl. Ps. 76,11) mit den Worten: »Denn der Gedanke des Menschen preist dich,
und das, was vom Gedanken zurückbleibt, feiert dich.« Dass er aber oft von feindlichen
Mächten kommt, bezeugt Salomo folgendermaßen (Pred. 10,4): »Wenn ein Geist [aus den
Scharen] dessen, der Herrscher [dieser Welt] ist, über dich kommt, so verlasse deinen
Posten nicht; denn Gelassenheit macht große Verfehlungen wett.« Dass ein Gedanke aber
auch von Gott kommen kann, bezeugt wiederum David in den Psalmen folgendermaßen: ,,Selig
der Mann, dessen Begreifen von dir ist, Herr; Stufen des Aufstiegs sind in seinem
Herzen.« (Vgl. Ps. 84,6.) Sagt doch auch der Apostel (Paulus, vgl. 2. Kor. 8,16): »Gott
hat dem Titus ins Herz gelegt.« (princ. III 2,4.)
Man muss indessen annehmen, so fährt Origenes fort, dass all das Gute
und Böse, das unserem Herzen eingeflüstert wird, nichts anderes bedeutet als einen
Anreiz, der uns zum Guten oder Bösen veranlassen will. Es ist uns aber möglich, wenn die
böse Macht uns zum Schlechten anzureizen beginnt, diese bösen Einflüsterungen von uns
zu weisen, den verwerflichen Einflüssen zu widerstehen und nichts Schuldhaftes zu
begehen. Freilich kann es umgekehrt dahin kommen, dass wir, wenn die göttliche Macht uns
einen Anstoß zum Besseren hin zuteil werden lässt, diesem Anstoß keine Folge leisten; denn
in beiden Fällen bleibt uns die Fähigkeit zur freien Entscheidung bewahrt. (princ.
III 2,4.)
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