5. Kapitel
Das apostolische Glaubensbekenntnis und die Dreieinigkeitslehre
in neuem Lichte
"Woher hast du diesen Bericht?", fragte Hallerstede bei der nächsten
Unterhaltung. "Hast du ihn selber ausgedacht? Das ist ja eine Schöpfungsgeschichte
in gedrängter Darstellung."
"Nein, dies Kraut wuchs nicht in meinem Garten. Aber bevor ich euch
seine Herkunft nenne, sagt mir, wie es euch gefällt."
"Wir haben eine Reinschrift gemacht mit der Schreibmaschine. Zuerst
war mir die Art der Darstellung seltsam und ungewohnt, gar nicht wissenschaftlich,
dagegen rhetorisch und auf Wirkung berechnet; aber bei wiederholtem Lesen
verschwand dieser Eindruck mehr und mehr und trat der tiefe Sinn immer
deutlicher und schöner hervor. Ob die Geschichte wahr ist, darüber
will ich jetzt noch nicht urteilen, jedenfalls aber trägt sie das
Gepräge der Grösse und Erhabenheit und verdient darum ernstlich
beachtet zu werden. Da ist ein grosser Gegenstand wahrhaft gross behandelt
worden."
"Der Mann, der das schrieb, muss ein edler Mensch gewesen sein", fügte
Mechthildis hinzu, "ich finde in seinen Worten nicht nur Grösse und
Erhabenheit und Klarheit, sondern auch lebendiges Fühlen und überströmende
Liebe. Ich halte ihn für einen Dichter, denn die Gelehrten pflegen
so nicht zu schreiben."
"Und ihr, Erna?"
"Ich möchte mich noch nicht endgültig äussern, muss
die Sache noch mehr bedenken, will aber doch sagen, dass die Geschichte
mir sympathisch ist."
"Ich fand sie in einem verschollenen Büchlein, das einige Jahrzehnte
zu früh auf die Welt kam und infolge dieser Frühgeburt von den
Zeitgenossen nicht beachtet wurde. Vielleicht oder gar wahrscheinlich würde
es aber auch von den jetzigen Zeitgenossen [1929: Anm.d.Erf.] weder beachtet
noch verstanden werden, denn sie machen mir nicht den Eindruck, als ob
sie für derlei Dinge grosses Verständnis hätten. Wenn sie
aber seine Herkunft erfahren, werden sie erst recht nichts von ihm wissen
wollen, am wenigsten die, die es am meisten angeht. Der Bericht kam von
einem Philosophen aus dem Jenseits, er ist eine spiritistische Kundgebung."
Hallerstede sah den Freund überrascht an. "Diese Herkunft hätte
ich allerdings nicht vermutet. Nun verstehe ich, warum du vorher unser
Urteil hören wolltest. Da sind wir also richtig in die Falle gegangen."
"Gewiss. Indem ich euch den Autor des Berichtes nicht nannte, wollte
ich euch ermöglichen, unbefangen zu urteilen. Wenn ihr die Herkunft
des Berichtes gewusst hättet, würdet ihr infolge eines weit verbreiteten
Vorurteils wahrscheinlich nicht unbefangen geurteilt haben. Wollt ihr nun
euer Urteil ändern?"
"Das wäre gegen die Methode ehrlicher Forschung. War der Bericht
vorher wertvoll, so muss er es auch jetzt sein. Wenn ich es recht bedenke,
sollte ich froh sein, dass ich auf diese Art die Gefahren des Vorurteils
erkenne. Das ist ein Rippenstoss, ich gestehe es, aber er ist nützlich.
Du hast recht, das Vorurteil ist weit verbreitet, und ich hatte es auch,
was übrigens bei mir nicht verwunderlich sein sollte, denn ich habe
bisher weder Zeit noch Gelegenheit gehabt, dies Problem zu untersuchen,
und was man in der Zeitung liest, ist wahrlich nicht geeignet, eine günstige
Meinung für den Spiritismus zu erwecken. Wir werden wohl noch Gelegenheit
haben, diese Fragen weiter zu besprechen, jetzt wollen wir uns wieder der
Frage zuwenden: Wer ist Christus? So wie ich die Schöpfungsgeschichte
verstehe, ist Christus einer der Erstlinge und hat als solcher viele Brüder.
Er ist also nicht der dritte Teil Gottes und nicht eine Person mit dem
Vater und dem heiligen Geiste im Sinne des Dogmas. Er ist weder Gott noch
Mensch und auch nicht eine Verbindung von beiden, sondern ein Mittelwesen
zwischen beiden, mehr als der Mensch, aber geringer als Gott, und erschaffen
vom Vater wie wir."
"Das ist der Sinn der Kundgebung, soweit sie das Wesen Christi betrifft."
"Den Kirchenleuten wird es ein unfassbarer Gegensatz sein, dass Christus
noch viele Brüder haben soll."
"Er hat tausende von Brüdern, und jeder hat eine besondere Individualität.
Warum sollte der unendliche Schöpfer sich mit nur einem Sohn
begnügen, ja, warum sollte er nicht jedem dieser Söhne eine besondere
Eigenart gegeben haben? Der Satz in dem Berichte "dass er sie alle gerufen
hat mit Namen" (Fussnote 6) ist nicht
wörtlich zu nehmen, sondern bedeutet, dass keiner der Erstlinge dem
andern genau gleich ist, sondern dass jeder seine Eigenart hat, die hier
biblisch als Name bezeichnet wird, wie ja auch bei uns Menschen der Name
eine Eigenart bezeichnen soll. Um euch das Wesen und die Bedeutung Christi
so verständlich wie möglich zu machen, gebe ich euch noch eine
andere Kundgebung aus dem Jenseits, eine, die wieder wert ist, notiert
zu werden:
"Ich und der Vater sind eins! sprach ich einst
zu den Menschen, zu meinen Menschen, die mein Vater mir gegeben.
Ich und der Vater sind eins! spreche ich heute
wieder, um gleichzeitig den Menschen zu sagen, wie falsch und verkehrt
sie diese meine Worte aufgefasst haben.
Meine Jünger, die mein Vater mir einst gegeben,
haben den Sinn dieser Worte verstanden; aber die Menschen, die mich nicht
kennen, haben ihn nicht verstanden, sind beim Buchstaben geblieben und
haben sogar diesen falsch gedeutet, und dies hat mir sehr wehe getan!
Mein Vater hat dies gesehen und mir erlaubt, wiederum
zu den Menschen zu reden und sie aufzuklären über ihr Missverständnis,
das soviel Unheil und Unfrieden in der Welt gebar.
Mein Vater sprach zu mir: "Geh' selbst hinab, mein
Sohn, die Menschen könnten deinen Jüngern nicht glauben, was
sie über dieses Wort gesagt; sag' es ihnen selbst, damit sie keine
Ausrede haben, dass es ein verschleiertes Wort sei."
Mein Jünger Simon sprach, dass nun das
Wort ohne Schleier den Menschen geoffenbart werden dürfe [Dies
bezieht sich auf eine vorhergehende Kundgebung des Apostels], und er sprach
wahr, denn er sprach nicht sein Wort, sondern das meine,
der ich das Wort habe von meinem Vater, mit dem ich eins bin.
Ich habe es ja einstens auch gesagt, dass ich nicht mein
Wort rede, sondern das Wort meines Vaters, nicht meine Tat tue,
sondern die Tat des Vaters.
Ich habe gesagt: "Der Vater wirkt durch mich."
Das war doch klar gesprochen! Wenn ich der Vater selbst gewesen wäre,
hätte ich nicht sagen können: Der Vater wirkt durch mich; hätte
ich nicht sagen können: ich rede das Wort meines Vaters; sondern hätte
sagen müssen: Ich rede und wirke als Vater.
Ich habe gesagt: "Ich und der Vater sind eins",
habe aber nicht gesagt: Eine Person. Ich bin nicht eine Person mit
dem Vater, sondern bin eine zweite Person, erschaffen vom Vater,
ehe die Welt war.
Ich war von Ewigkeit her beim Vater, ehe noch etwas erschaffen
war; denn zuerst schuf Gott der Vater das Licht und nach dem Licht
die Kinder des Lichtes, darunter ich. So war ich, ehe die Welten
waren, von Anfang her im Lichte meines Vaters und half meinem Vater schaffen;
und wie hätte ich ihm können schaffen helfen, wäre ich nicht
eins
mit ihm gewesen?
Eine grosse Anzahl meiner Brüder, der Kinder des
Lichtes, entzweite sich im Laufe der Zeit mit dem Vater und wurde ein Feind
des Vaters; ich aber entzweite mich nie mit dem Vater, blieb immer eins
mit meinem Vater und half ihm treulich in allem. Hätte ich mich je
entzweit mit meinem Vater, so hätte ich nicht sagen können: ich
sei eins mit ihm! Dies war aber nicht der Fall. Ich leistete Gehorsam
meinem Vater und blieb eins mit ihm, - ein gehorsames Kind meines
Vaters.
Und als der Vater mich gesandt, die Welt aus ihrem Falle
zu erlösen, gab er mir Menschen zu Jüngern, die meine Freunde
wurden, weil sie eins wurden mit mir und durch mich mit dem Vater,
und ich machte kein Hehl daraus, nannte sie meine Freunde und Brüder,
denn auch sie sind Gottes Kinder, und da sie mit mir eins geworden sind
in allem, durfte ich sie so nennen. Und Freunde, an welchen ich Wohlgefallen
habe, sind sie mir heute noch, umsomehr, da sie im Geiste verwoben sind
mit mir.
Darum ist das, was mein treuer Simon sagt: Wahrheit,
denn er spricht durch meine Kraft die Wahrheit, der ich sie spreche durch
die Kraft des Vaters!
Mein Vater will die armen Menschen heilen und schickt
uns wiederum zu ihnen, ihnen Heil zu bringen.
Ich und meine Jünger, deren Zahl sich in der Zeit
bedeutend vermehrt hat, tun ein und dieselbe Arbeit, - unseres Vaters,
unseres Gottes Arbeit, die da heilig ist durch Gott, zum Heil gereichen
soll den Menschen, die guten Willens sind, und zum Anstoss denen, die bösen
Willens sind, damit sie durch diesen Anstoss guten Willens werden!
Die Welt hat viele Häuser, welche die Menschen "Gotteshäuser"
nennen. Und weil im Laufe der Zeit so viele Gotteshäuser wurden, die
keinen Eckstein, keinen Frieden haben, schickt unser lieber Vater
- dem Übel abzuhelfen - zu jedem Gotteshaus der Welt nun einen
Eckstein, welche Steine herausgehauen wurden aus mir altem Eckstein, der
ich im Laufe der Zeit bei Gott gewachsen bin.
Und gleich wie über mich viele gefallen sind, werden
auch über die neuen Ecksteine - meine Kinder - viele Menschen fallen,
und gerade solche fallen, die sich daran befestigen, bewähren
sollten!
Das macht mir keine Freude, und wird auch jenen keine
Freude machen, die da fallen werden. Doch der Mensch ist seines Willens
Herr, Gott hat ihn so erschaffen, - er kann sich selber aufrichten und
kann sich selber zugrunde richten.
Aber wenn der Mensch sich zugrunde gerichtet hat, lässt
der Vater ihn nicht ganz versinken, sondern hat mir ein Gebot gegeben,
ihn
aufzusuchen, wo er versunken ist, und ihm so weit zu helfen, dass er
wieder selber stehen kann, und hat mir zu dieser Arbeit Engel, Geister
und Menschen als Gehilfen gegeben, die mir dabei helfen sollen.
Und ich brauche viele solcher Mitarbeiter, weil gar so
viele Menschen fallen und sich zugrunde richten, und es ist keine leichte
Arbeit für diese meine Mitarbeiter, die zugrunde gegangenen Menschen
wieder auf eigene Füsse zu stellen - sie müssen viel leiden dabei
und mir im Kreuztragen nachfolgen.
Doch mein Vater wird ihre schwere Arbeit lohnen, und
sie werden meiner Freude teilhaftig werden, und meine Freude ist: Seligkeit
und Einigkeit mit meinem Vater; und ihre Freude wird sein: Seligkeit
und Einigkeit mit mir!
Und meine Mitarbeiter, die mich kennen, werden auch ihre
Arbeit treulich tun und werden retten, wo sich einer retten lässt;
denn sie sind mir anhänglich und saugen durch ihre Anhänglichkeit
Kraft von mir, der ich, durch meine Anhänglichkeit an den Vater, Kraft
sauge vom Vater; so sind sie in keiner andern Kraft als ich, und können
leisten auch, was ich geleistet, und werden leisten alle, die da
zu Ecksteinen gemacht werden!
Diese Versicherung gab mir mein Vater, der alle noch
viel besser kennt als ich, da sie ja seine Kinder sind.
So gebe ich auch meinen neuen Mitarbeitern mein alt'
Gebot und meinen alten Trost: "Liebet euch untereinander, seid friedfertig
untereinander und freuet euch auch der Trübsale; denn unser guter
Vater, der im Himmel ist, wird uns vergelten väterlich!"
Mein Gott! mein Vater! der du auch bist der Menschen
Vater, der Menschen Gott, ich bitte dich für die Menschen überhaupt:
Nimm ab die Schuppen von ihren Augen, nimm ab die Bosheit von ihrem Willen,
nimm ab den dicken Pelz von ihrem Gewissen, damit sie dich erkennen, wie
du
bist, und sich erkennen, wie sie sind!
Mein lieber Vater! Und für meine neuen Jünger,
die du mir gegeben, bitte ich dich besonders: Lasse sie mir in ihrer Anhänglichkeit,
damit sie meinen Frieden haben, durch meine Kraft zu tun vermögen,
was deines Willens ist, und teilhaftig werden meiner Seligkeit bei dir,
o Vater, Amen!" (Fussnote 7)
Nach einer Weile nachdenklichen Schweigens fragte Hallerstede:
"Hältst du diese Kundgebung für echt?"
"Ich habe keinen Grund, an ihrer Echtheit zu zweifeln,
zumal ich die besonderen Umstände ihres Entstehens kenne. Andere werden
sie aus dem Unterbewusstsein des Mediums zu erklären suchen."
"An Deutlichkeit lässt sie nichts zu wünschen
übrig. Wie kamen aber die Theologen dazu, die Identität von Vater
und Sohn zu behaupten?"
"Wie anders als durch das Missverstehen der Christusworte
über sein Verhältnis zum Vater; indem sie diese Worte gegen alle
Vernunft buchstäblich auffassten. Aber dies Dreieinigkeitsdogma ist
nicht ohne Widerstand hingenommen worden. Die Arianer z.B. haben die Göttlichkeit
Christi nicht anerkannt, sie sind dafür verketzert und blutig verfolgt
worden. Wenn dieser Gegenstand euch interessiert, könnt ihr mehr erfahren
aus der Dogmengeschichte. Übrigens ist die Lehre von der Dreieinigkeit
Gottes keine ausschliesslich kirchliche Lehre, auch die indische Volksreligion
hat eine Dreieinigkeit: Brahma, Vishnu und Schiwa, und vielleicht ist unser
Dogma nur eine Nachahmung der indischen Lehre, wie denn überhaupt
die Kirche viele Bräuche und Formen mit östlichen Religionen
gemein hat, ich will nicht sagen, aus ihnen entlehnt hat."
"Der Streit um das Dogma interessiert mich nicht, wohl
aber möchte ich noch einmal zurückkommen auf den Geisterfall.
Ich sagte schon, dass diese Frage mir nicht ganz klar sei, und der Schöpfungsbericht
hat meine Zweifel aufs neue erweckt und bestärkt. Ich verstehe nämlich
noch immer nicht, wie die Geister bei ursprünglich gleicher Beschaffenheit
sich so entwickelten, dass der eine Teil fiel, der andere Teil der Versuchung
widerstand. Gleiche Ursache, gleiche Beschaffenheit muss doch gleiche Wirkung,
gleiche Folge haben. Ich könnte verstehen, dass entweder alle fallen
oder alle widerstehen, wenn beide Möglichkeiten gleicherweise gegeben
sind, aber dies ungleiche Verhalten der Geister ist mir ein Rätsel.
Wenn z.B. von einer Anzahl Nägel aus demselben Eisenstück unter
gleichen äusseren Umständen ein Teil rosten würde, der andere
Teil nicht, so wäre dies unbegreiflich, und ich würde mich zu
der Ansicht gedrängt fühlen, dass das Eisen trotz scheinbar gleicher
Beschaffenheit doch irgendwie ungleich sein müsse, wenn ich nicht
ein Wunder annehmen oder auf eine vernünftige Erklärung verzichten
will."
"Das ist eine harte Nuss", sagte Friedmar, "sie hat auch
mir viel zu schaffen gemacht, und eine voll befriedigende Lösung hat
sich nicht ergeben. Du hast recht, die Möglichkeit zu fallen oder
nicht zu fallen muss für alle Geister gleich gross sein, denn wäre
eine dieser Möglichkeiten auch nur um Haaresbreite grösser als
die andere, so wäre der Geist schon nach dieser Seite hin bestimmt
und seine Freiheit wäre beschränkt, das darf aber bei der Voraussetzung
vollkommener göttlicher Gerechtigkeit nicht sein. Soweit sind wir
einig, nun aber stelle ich deinem Beispiel vom Eisen ein anderes Beispiel
entgegen: Wasser, dieser weit verbreitete Stoff, kann in verschiedenen
Formen bestehen, als Eis, Wasser oder Dampf. Es ist derselbe Stoff, aber
verschieden in Erscheinung und Wirken; dort Starre und Trägheit, hier
Bewegung und Tätigkeit. Der neugeschaffene, reine Geist befindet sich
gleichsam in einem neutralen mittleren Zustande, von dem er sich nach der
Seite des Guten oder Unguten entfernen kann kraft seines freien Willens,
und zwar nach der einen Seite bis zur Stufe des Genies und Heiligen, nach
der andern Seite bis zur Stufe des Verbrechers, Wilden und Tiermenschen."
"Wohl, aber wir kennen die Ursache der Verschiedenheit
als Wärme oder Kälte, unter deren Einfluss die Atome und Moleküle
des Wassers ihre Lage und Ordnung in bestimmter Weise verändern."
"Gut, und so sage ich, dass auch die Kraftatome des Geistes
sich infolge gewisser Umstände disharmonisch verändern, wenn
der Geist "fällt". Dass wir diese Umstände noch nicht kennen,
will wenig besagen in Anbetracht unseres mangelhaften Wissens vom wahren
Wesen der Dinge. Nun wirst du dich vielleicht stossen an dem Ausdruck:
"Kraftatome des Geistes", bedenke aber, dass ich ihn nur benutze als Gleichnis,
als Bild, um eine innere Veränderung des Geistes anzuzeigen."
"Befriedigend ist deine Erklärung nicht", meinte
Hallerstede, "gleichwohl ersehe ich aus dem Gleichnis, dass man die Möglichkeit
eines ungleichen Verhaltens der Geister bei ursprünglich gleicher
Beschaffenheit nicht abweisen darf. Dann aber scheint mir das letzte Wort
in der Frage der Willensfreiheit noch nicht gesprochen zu sein."
"Wenn du bedenkst, dass wir überall von Wundern
und Rätseln umgeben sind, sogar in den alltäglichen Dingen, so
wird es - vulgär gesprochen - auf ein Rätsel mehr oder weniger
nicht ankommen. Trotz allem Forschen und Begriffespalten wissen wir nicht,
was Bewusstsein, Denken, Wille ihrem Wesen nach sind: dürfen wir uns
wundern, dass auch eine gemeinsame Tätigkeit dieser drei, im besondern
eben die freie Willensentschliessung des jungen Geistes, uns dunkel ist?
Und ferner: wenn die Voraussetzungen und Folgerungen einer Lehre vernünftig
sind, so dürfen wir diese Lehre nicht darum verwerfen, weil wir eine
einzelne schwierige Frage noch nicht beantworten können. Aber ich
will dir nichts aufdrängen. Sollte die Lehre vom Geisterfall dir noch
immer bedenklich erscheinen, so gibt es noch eine andere Lehre, die dir
vielleicht besser gefällt und welche sagt, dass alle Geister ohne
Ausnahme den Weg von unten auf durch die Materie machen müssen und
durch viele Einverleibungen die Vollkommenheit erreichen (Fussnote
8). Beide Lehren haben also ein Ziel: Vollkommenheit
und Seligkeit, in Mitteln und Wegen und Meinungen aber unterscheiden sie
sich. Mit dieser Lehre hättest du zwar das stachelige Problem des
Geisterfalles umgangen, dafür aber tauchen andere, nicht minder schwierige
Fragen auf, und wie du dich auch stellen magst, so kommst du nicht aus
ohne gewisse Voraussetzungen, ohne Glauben. Du wirst dich abfinden müssen
mit der Erkenntnis, dass der Vernunft, so hoch auch sie ihren Flug nehmen
will, doch gewisse, unübersteigbare Schranken gesetzt sind, Schranken,
die sich aus der Unvollkommenheit unseres Geistes und seiner Verbindung
mit der Materie ergeben und die nur nach und nach fallen können in
dem Masse, als unser Geist grössere Reinheit und höheres Leben
erreicht. Ich sage Schranken, nicht Grenzen. Schranken des Erkennens gibt
es, z.B. die Beschaffenheit des Gehirns; ob es Grenzen des Erkennens gibt
und wo sie liegen, das wissen wir nicht. Aber nun wollen wir die Geduld
der Frauen nicht länger missbrauchen und fortfahren im Unterricht,
wobei diesmal der hochwürdige Herr Pfarrer examiniert wird, ob er
seine Sache gelernt hat."
Mechthildis fuhr fort: "der empfangen ist vom heiligen
Geist, geboren von der Jungfrau Maria." Wieder einige Steine des Anstosses.
Wer ist der heilige Geist? Und ist die Geburt von einer Jungfrau überhaupt
möglich?"
"Ich nehme die zweite Frage zuerst. Vom Standpunkt der
heutigen Naturwissenschaft ist die Geburt eines Kindes ohne väterliche
Zeugung unmöglich. Die Theologen, welche die jungfräuliche Geburt
Christi behaupten, stützen sich dabei auf die bekannten Worte der
Evangelien. Wir wollen diese Worte ausser Betracht lassen und untersuchen,
ob eine jungfräuliche Geburt uns bloss erfahrungsmässig unmöglich
scheint, oder ob sie überhaupt unmöglich ist. Um hier einige
Anhaltspunkte zu gewinnen, wollen wir uns auf ein verwandtes Gebiet begeben
und dort eine noch ungelöste Frage von grundsätzlicher Bedeutung
betrachten. Ich meine das Problem der Urzeugung, das Entstehen von Lebewesen
ohne Ei oder Keimzelle aus dem unorganischen Stoff. Der Streit um dies
Problem ruht zur Zeit, aber gelöst ist es nicht. Man weiss nicht bestimmt,
wie die ersten Lebewesen auf der Erde entstanden sind. Zwei Meinungen stehen
einander gegenüber. Die eine sagt: alles Leben entsteht aus Ei, oder
Keimzelle, entsteht nicht spontan aus dem unorganischen Stoff. Solche Entstehung
ist nie einwandfrei bewiesen worden. Die andere Meinung sagt: Da die Erde
vor ihrer Abkühlung ein solcher Glutball war, dass organisches Leben
auf ihr nicht existieren konnte, müssen die ersten Lebewesen
ohne Keimzelle entstanden sein. Die Entgegnung darauf lautet: eine solche
Entstehung anzunehmen ist unnötig, die ersten Keime sind durch Weltenstaub,
Meteore oder dergleichen Fahrzeuge von andern Weltkörpern auf die
Erde gebracht worden; worauf die Gegner antworten: auch jene Weltkörper
waren ursprünglich Feuerbälle ohne organisches Leben, wie ist
das Leben denn dort entstanden? Und ist der Transport von Keimen durch
den Weltraum schon einwandfrei bewiesen worden? Verlegenes Schweigen. So
ist das Problem noch ungelöst. Vielleicht können wir etwas zu
seiner Lösung beitragen, indem wir es in seine Bestandteile zerlegen
und diese einzeln untersuchen. Nicht eigentlich untersuchen, das wäre
zu langweilig; nur kurz betrachten. Wir wissen, dass die Keimzelle aus
Atomen und Molekülen besteht, die eine genau bestimmte Ordnung einnehmen,
und die Logik zwingt uns zu der Annahme, dass diese Urbestandteile der
Zelle von intelligenten, unsichtbaren Kräften, also von Geistwesen
irgendwelcher Stufe und Art, geordnet, bewegt und belebt werden. Das Wesentliche
sind also die Bausteine und die Ordner und Beweger der Bausteine. Wenn
diese vorhanden sind, ist die Möglichkeit gegeben, dass eine lebendige
Zelle entsteht. Wo dies geschieht, ist zwar nicht nebensächlich, aber
doch von geringerer Bedeutung. Soviel wir wissen, geschieht es in einem
mütterlichen Organismus, weil dieser dazu eingerichtet ist; dass es
immer darin geschah und geschehen muss, kann nicht bewiesen werden, und
es ist logisch möglich, dass Zellen auch ausserhalb eines mütterlichen
Organismus entstehen können, wenn die eben genannten Bedingungen vorhanden
sind. [die künstliche Befruchtung hat es gezeigt; Anm.d.Erf.]
"Nach einer alten Meinung", fuhr Friedmar fort, "sollen
die ersten Lebewesen im Meer entstanden sein, zu einer Zeit, als das Meer
noch anders beschaffen war als heute und alle zum Bau einer Zelle nötigen
Bestandteile enthielt. Und zwar scheinen die ersten Lebewesen oder Zellen
urgezeugt entstanden zu sein. Ich halte dies für wahrscheinlicher
als die Herkunft der ersten Keime von andern Weltkörpern, denn, wie
gesagt, auf andern Weltkörpern bestehen ja die gleichen Schwierigkeiten.
Will man aber dort eine Urzeugung annehmen, so kann man dies auch für
die Erde tun, als sie soweit abgekühlt war, um Leben tragen zu können.
In welch' zeitliche und räumliche Ferne wir die Entstehung der Lebewesen
verlegen mögen: einmal müssen sie durch Schaffung
oder Urzeugung entstanden sein, und dies auch für die Erde
anzunehmen ist ebenso möglich und zulässig wie für andere
Weltkörper. Der Schwerpunkt des Problems liegt also in der Frage,
ob ein Geistwesen durch geordnetes Zusammenfügen von Atomen und Molekülen
einen Keim, eine Zelle bilden könne, wenn die Bedingungen dazu gegeben
sind. Logisch und theoretisch ist das möglich, für die Entstehung
der ersten Lebewesen scheint es sogar nötig und wirklich gewesen zu
sein. Nachdem aber die Lebewesen mit Fortpflanzungsorganen versehen sind,
ist es jetzt allerdings nicht mehr nötig."
"Ihr macht einen weiten Umweg, Friedmar."
"Es war leider nicht zu vermeiden, wenn ihr die Frage
der jungfräulichen Geburt Christi verstehen wollt. Hohe Geister haben
uns auch darüber Mitteilung gemacht. Sie sagen: Christus, der vollkommene
Geist, kennt die Gesetze der Schaffung und ist vom Vater mit Schaffungskraft
begabt. Ihm sind untertan und gehorsam die Geister, die in der Natur und
in den Elementen arbeiten und die Organismen bauen, daher er es vermochte,
den Sturm und das Meer zu stillen. Vermöge dieser Kenntnis und Kräfte
legte er selbst durch Willenskraft den Keim seines künftigen Körpers
in den Schoss Marias. Er entnahm die Bestandteile dieses Keimes den feinsten
Stoffen Marias, nämlich ihren Fluiden und Duftstoffen. Dieser so gebildete
Keim wuchs im Schosse Marias nach natürlichen Gesetzen wie ein anderer
Menschenkeim, jedoch unter dem Einfluss des Geistes Christi, der die Qualität
und Ordnung bestimmte, während Maria, wie gesagt, den Stoff gab. Maria
war ein hoher, reiner, nicht gefallener Geist, der sich einverleibt hatte
zu dem Zwecke, die Mutter Christi zu werden. Die Baustoffe zur Keimzelle
und das Gefäss waren also vorhanden, und es bedurfte nur des Eingreifens
einer intelligent wirkenden Kraft, um die Atome, Moleküle und Fluide
zur lebenden Keimzelle zu bilden. Dies ist das Geheimnis der unbefleckten
Empfängnis, die von der Kirche als Dogma aufgestellt wird. Der unwissende,
unkritische Mensch hält sie für ein Wunder; der Naturforscher
für unmöglich, weil den ihm bekannten Naturgesetzen widersprechend;
der Materialist für lächerlichen Unsinn; der vorsichtige Denker
aber sagt: wenn Tatsache, ist sie weder Wunder noch Unsinn, sondern hier
ist die Ordnung der physischen Welt gelenkt worden durch Kräfte der
höhern geistigen Welt. Und noch eins: wenn man die Tatsachen des modernen
Spiritismus kennt, scheint das vermeintliche Wunder gar nicht so gross
zu sein, denn in spiritistischen Sitzungen sind sogar ganze Menschengestalten
als Phantome scheinbar aus dem Nichts entstanden und wieder darin verschwunden,
und diese scheinbaren Wunder wurden vollbracht von Geistern auf niederer
Stufe, von Geistern, die aber, und darauf kommt es an, die Gesetze kannten,
wonach sie diese Wunder bewirkten. Die Geister sagen selbst, dass sie den
Stoff der Phantome dem Medium und andern anwesenden Personen entnehmen
und ihn dann formen."
Hallerstede überlegte. "Eine originelle Erklärung,
ob richtig oder nicht; so originell, dass sie unglaublich scheint. Und
doch nicht unvernünftig, und ein Zeichen, dass die Natur mehr Möglichkeiten
enthält, als wir ahnen. Dies wird mir immer deutlicher, und daher
werde ich im Gebrauch des Wortes "unmöglich" immer vorsichtiger. Ich
lasse unentschieden, ob die Erklärung zutrifft oder nicht; ich lege
dieser Sache keine grosse Bedeutung bei und meine, dass es für meine
zukünftige Seligkeit nichts ausmacht, ob ich sie glaube oder nicht.
Wunderlich ist aber, dass die Kirche, welche das Dogma der unbefleckten
Empfängnis aufstellt und wahrscheinlich gern eine vernünftige
Erklärung dafür hätte, diese Erklärung nicht geben
kann. Wenn diese Erklärung von hohen Geistern kam, wie du sagst, so
hat Gott sowohl hier wie bei dem Schöpfungsbericht sich anderer Werkzeuge
bedient als des heiligen Geistes, den die Kirche zu haben behauptet. Ich
muss an mich halten, um bei dieser ernsten Sache nicht satirisch zu werden,
aber der Groll gegen die Kirche zittert immer noch nach in mir und wird
wohl nur allmählich weichen. Angenommen nun, das Dogma und seine Erklärung
seien wahr: warum diese besonderen Umstände bei der Geburt Christi?"
"Christus hatte auf der Erde eine besondere Aufgabe zu
erfüllen und brauchte dazu einen besonders beschaffenen Körper,
der seinem Willen leicht gehorchte. Dieser Körper, dem Aussehen nach
ein normaler Menschenkörper, und zwar von vollkommener Schönheit,
war in seiner stofflichen Beschaffenheit dennoch viel leichter und feiner
als der Körper gewöhnlicher Menschen. Christus, ein Geist höherer
Ordnung und Qualität aus einer höhern Welt, brauchte auch einen
Körper höherer Ordnung; ein Körper gewöhnlicher Erdenmenschen
wäre gegen seine Ordnung, gegen sein Gesetz gewesen. Der Künstler
braucht feinere Nerven als der Grobschmied."
"Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben
und begraben."
"Diese Worte bedürfen keiner Erläuterung."
"Niedergefahren zur Hölle."
"Die Väter des Apostolikums meinten, dass die Menschen,
die vor Christi Erscheinen lebten, eben deshalb der Erlösung
durch Christi Opfertod nicht teilhaftig werden konnten, und zwar ohne eigene
Schuld, und dass Christi Geist nach dem Leibestode in die Unterwelt hinabgestiegen
sei, um diesen Seelen zu predigen, und auch ihnen Gelegenheit zu geben,
an der Erlösung teilzuhaben. Sie wussten nicht, dass Christus immer,
so oft es nötig ist, Boten des Lichtes an diese dunklen Orte sendet,
um zu retten, wer sich retten lassen will."
"Am dritten Tage auferstanden von den Toten."
"Wieder eine harte Nuss, besonders für die liberalen
Theologen, die zu kritisch sind, um blind zu glauben, anderseits die Auferstehung
nicht erklären können. Sie zu leugnen geht nicht gut, denn die
Auferstehung hat die Jünger, die bei Christi Tode ratlos geflohen
waren, zu todesmutigen Bekennern Christi gemacht, und diese seltsame Wandlung
muss doch psychologisch begründet sein. Der stärkste Grund für
diese Wandlung scheint nun aber die vorausgesagte und von vielen Zeugen
bestätigte Auferstehung Christi zu sein. Die Jünger haben sie
nicht bezweifelt, da der Heiland ihnen wiederholt erschien und mit ihnen
sprach und ass. Wie aber ist dies mit dem rationalistischen Denken in Einklang
zu bringen? Die Theologen würden nicht in dieser Verlegenheit sein,
wenn sie die Tatsachen des modernen Spiritismus gründlich studiert
hätten; da hätten sie die Erklärung gefunden. Der Spiritismus
lehrt und zeigt, dass die Geister nicht absolut unmateriell sind, sondern
dass sie einen Körper aus ätherisch feinen Stoffen haben und
dass sie unter Umständen diesen Körper verdichten können
bis zur Sichtbarkeit. In spiritistischen Sitzungen sind Geister unter den
strengsten Bedingungen photographiert worden und zwar von Forschern, die
man nicht als leichtgläubige Toren hinstellen kann. Nun aber stehen
die Geister, die sich so zeigen, nicht auf besonders hoher Stufe. Wenn
also schon mindere Geister sich sichtbar machen können, so wird Christus,
der hohe Geist, dies vermöge seiner Beherrschung der Naturgesetze
noch viel besser können. So löst sich auch dies Rätsel.
Was nun die eigentliche Auferstehung und das Verschwinden des Leichnams
betrifft, so wollen wir uns erinnern, dass dieser Leib aus leichter Materie
bestand, die sich unter dem Einfluss des mächtigen Willens Christi
im Augenblicke zersetzte und verschwand. Auch diese Verflüchtigung
des Stoffes hat ihr erklärendes Seitenstück in den Apport-Phänomenen
des Spiritismus, indem Gegenstände blitzschnell verflüchtigt,
an einen andern Ort versetzt und wieder verfestigt nach dem Gesetz der
geistigen Chemie. Der Stein aber, der das Grab verschloss, bildete auch
kein Hindernis; in spiritistischen Sitzungen sind schwere Tische wie Spielzeug
gehandhabt worden, und dem Messias standen genügend dienende Kräfte
zu Gebote, auf sein Geheiss den Stein zu beseitigen. Ihr seht also, dass
man nicht zu leugnen braucht, was man nicht versteht. Da wir noch nicht
alle Naturgesetze kennen (Fussnote 9),
sollten wir uns hüten, unbegreifliche, ungewöhnliche Erscheinungen
voreilig zu leugnen oder sie gar als unmöglich hinzustellen. Das ist
die Art der Toren."
"Aufgefahren gen Himmel."
"Diese Himmelfahrt war ein Hinaufschweben und darnach
ein Verflüchtigen des sichtbaren ätherischen Körpers Christi.
Ganz und gar keine schwierige Leistung für den Meister. In neuerer
Zeit ist der Schotte Home, von unsichtbaren Kräften gegen das Gesetz
der Schwere emporgehoben und freischwebend in der Luft gehalten worden
- eine viel grössere Leistung." [gemessen an den jeweiligen Fähigkeiten;
Anm.d.Erf.]
"Sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen
Vaters, von wo er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten."
"Dieser Satz beruht vorwiegend auf Christi Rede vom jüngsten
Gericht. Diese Rede ist, wie so manches andere Wort Christi, nicht buchstäblich
zu nehmen und hat einen doppelten Sinn. Das jüngste Gericht findet
täglich statt, wenn Menschen sterben. Nach dem Ablegen des Körpers
überblickt der Geist sein Erdenleben, er sieht, was er mit dieser
Einverleibung bezweckt hat und was er erreicht hat. Hat er erreicht, was
er gewollt, darf er mit dem Erfolg seines Erdenlebens zufrieden sein, so
ist er glücklich; im gegenteiligen Fall ist er unglücklich. Das
eigene Gewissen ist sein Richter, und zwar ein Richter, der sich nicht
bestechen lässt, denn der Geist hat die Spuren seines Denkens und
Tuns in sich selbst eingegraben, fühlt sie in der Beschaffenheit seiner
fluidischen Hülle und sieht sie in seiner Umgebung. War der Mensch
böse, so befindet sich sein Geist nach dem Leibestode in einem üblen,
unangenehmen Zustande, der genau seiner moralischen Qualität entspricht;
er erntet genau das, was er gesäet hat, und er hat keinen Grund, sich
über Ungerechtigkeit zu beklagen, da er ja selber seinen Zustand geschaffen
hat. Dies ist das persönliche Gericht, das jeder Geist nach dem Tode
des Leibes erlebt, der eine bald, der andere später, je nach der Beschaffenheit
des Geistes. Ausserdem aber soll in ferner Zukunft ein grosses, allgemeines
Gericht über die Geister und Menschen der Erde ergehen, wobei die
niederen und bösen Geister von der Erde entfernt und auf einen andern,
noch tiefer stehenden Weltkörper verwiesen werden sollen, wo sie arbeiten
und sühnen müssen, während die guten Geister auf der Erde
zurückbleiben und sie unter Christi Leitung in ein Paradies verwandeln
werden. So ist die Trennung der Schafe von den Böcken zu verstehen
und das bekannte Wort von der einen Herde unter einem Hirten."
"Ich glaube an den heiligen Geist."
"Der heilige Geist ist nicht ein individueller Geist
und nicht der dritte Teil Gottes, sondern die Gesamtheit der rein und heil
gebliebenen und wieder rein und heil (heilig) gewordenen Geister zweiter
Schaffung oder Qualität bildet den "heiligen Geist", wie die Gesamtheit
der heil gebliebenen und wieder heil gewordenen Geister erster Schaffung
- die Erstlinge oder Messiasse - den Sohn bilden. Die Anzahl der Messiasse
und der heiligen Geister geht in die Millionen. Der "Sohn" und der "heilige
Geist" sind also Kollektivgeister, die sie bezeichnenden Worte aber bedeuten
Kollektivbegriffe, und die falsche Auffassung vom "Sohn" und "heiligen
Geist" beruht also darauf, dass man unter dem Kollektivbegriff einen einzelnen
Geist versteht. Wir sehen es auch noch heute, dass die Bedeutung eines
Wortes sich wandelt, oder dass die Einzahl für die Mehrzahl gesetzt
wird. Man sagt: der Deutsche, der Engländer, meint aber damit das
ganze Volk. Ich zweifle nicht, dass Christus seine Jünger über
diese Dinge belehrt hat; später ging der wahre Sinn seiner Lehre verloren,
das Wort aber blieb und bekam eine unrichtige Bedeutung. Ich wiederhole:
Gott, der Urgeist, das vollkommene, höchste Wesen, der Schöpfer,
ewig, unerschaffen, unwandelbar, ist der "Vater"; die Erstlinge oder Messiasse,
die heiligen Geister erster Schaffung oder Qualität in ihrer Gesamtheit
sind der "Sohn"; die heiligen Geister zweiter Schaffung oder Qualität
in ihrer Gesamtheit sind der "heilige Geist". Diese Geister zweiter Qualität
werden auch Paradiesgeister oder Kindergeister genannt in einigen medialen
Kundgebungen, weil sie ihre Jugend, die Zeit vor dem Falle, in geistigen
Paradieswelten verlebten. Wenn wir heilig, wieder heil geworden sind, werden
auch wir zum heiligen Geist gehören und Christus oder ein anderer
Messias kann uns beauftragen, suchende, strebende Menschen zu inspirieren
und in der Wahrheit zu leiten, wie damals die Apostel von solchen heiligen
Geistern inspiriert und belehrt wurden und wie sie, die Apostel durch auserwählte
Medien uns heute belehren. Vater, Sohn und heiliger Geist zusammen bilden
die göttliche Dreieinigkeit, so genannt, weil sie alle drei eins oder
einig sind im Willen, genauer gesagt: Sohn und heiliger Geist, als erschaffene
Geister, sind in ihrem Willen eins oder einig mit dem Vater, dem Schöpfergeiste,
den sie als weise, gütig und gerecht erkennen; sie sind selig, als
seine Gehilfen unter ihm in der Schöpfung zu arbeiten. Sie beugen
sich seiner unendlichen Weisheit und Liebe und wissen, dass sie nichts
besseres tun können als dem Willen des Vaters zu folgen, sie sagen
in freier, voller Erkenntnis: Dein Wille geschehe!"
Friedmar fuhr fort: "Ein solcher "heiliger Geist" sagt
uns über das Wesen und das Zusammenwirken der Teile der dreieinigen
Gottheit:
"Die Gottheit ist ein Dreibegriff, unverstanden von den
Menschen. Die Christen nennen sie "Heilige Dreifaltigkeit" und verstehen
darunter einen Gott aus drei unerschaffenen Personen: Vater, Sohn und heiliger
Geist.
In diesem engen Bund, dieser innigen Harmonie der göttlichen
Drei-Einheit ist nur Gott der Vater, der Schöpfer aller Dinge, von
Ewigkeit her; die andern zwei Personen, der Sohn und der heilige Geist,
sind Kollektiv-Individuen, erschaffene Geister, und haben als solche einen
Anfang.
Die Gottheit ist ein gegliedertes Ganzes, ist "Geist,
Kraft, Stoff", kann verglichen werden mit einem Individuum, das da besteht
aus Geist, Seele, Leib. Der Geist dieses Kollektiv-Individuums ist Gott,
der Vater, der Schöpfer; die Seele sind die Messiasse, und der Leib
mit seinen Gliedern sind die heiligen Paradiesgeister.
Und wenn der Geist im Menschen denkt und will, empfindet
dies seine Seele und setzt in Bewegung den Leib mit seinen Gliedern; und
bei einem harmonischen Menschen arbeiten die Glieder ganz im Einklang mit
dem Denken des Geistes. Aber was ist ein ausgeglichener, harmonischer Mensch
gegen die einige Gottheit, die in ihren Teilen noch viel fester verbunden
ist als der Mensch in seinen Teilen?! Im Momente als der Geist der Gottheit
denkt, ahnt die Seele, und im Momente, als der Geist der Gottheit will,
bewegen sich die Glieder und führen diesen Willen aus. Darum sprach
Christus "Ich und der Vater sind Eins", weil er ein Teil der Seele der
Gottheit ist. Kann denn die Seele anders empfinden als wie der Geist sie
anregt? Kann der Leib anders bewegt werden als wie des Geistes Wille ist?
Und wie der Geist sich regt, erbebt die Seele, spricht der Mund und arbeiten
die Glieder, und jede Fiber des Leibes ist durchzuckt von dem Beben der
Seele. Daraus ist ersichtlich, dass weder die Messiasse noch die heiligen
Geister anders tun können als Gott denkt und will, denn sie sind verwachsen
mit Gott und fühlen den Geist "Gott" in allen seinen Regungen; sie
können nicht abweichen, denn der Mund muss sich öffnen, die Hand
muss sich heben, der Fuss muss gehen, wenn der Geist will, und im Geiste
ist das Denken, in der Seele das Fühlen und in den Gliedern des Leibes
das Tun.
Und so arbeitet die Gottheit in der Schöpfung: der
Vater denkt und will, der Sohn empfindet dies und erregt den heiligen Geist,
und dieser führt das Empfundene aus und durchfährt die ganze
Schöpfung, schneller als der Blitz, von einem Orte zum andern, wo
die Anregung ihn hinzieht.
Seht, das ist die Gottheit in ihrer Dreieinigkeit! Wie
falsch habt ihr sie aufgefasst! Aber Gott will Licht machen im Menschengeist,
dass er besser, reiner, wahrer erkennen könne die Gottheit in ihrer
Grösse und Erhabenheit, aber auch in ihrer Einfachheit.
Die christliche Kirche lehrt euch die dreieinige Gottheit
in ganz anderem Sinne, in welchem ihr sie nicht verstehen könnt. Die
monotheistischen Kirchen lehren sie gar nicht, sie lehren nur einen
Geist "Gott", können sich aber das Wirken und Schaffen dieses Geistes
nicht erklären. Auch ihnen soll Licht werden, auch ihnen soll durch
die neue Offenbarung einleuchten, woraus die Gottheit besteht und wie sie
arbeitet, und wenn ihnen dies wird eingeleuchtet haben: was für einen
Unterschied wird es dann geben zwischen den Glaubenssekten, die nur einen
einfachen Gott haben, und denen, die einen dreifachen haben? Beide werden
sie erkennen, dass ihnen durch das neue Licht ihr alter Gott nicht genommen
wird; den Monotheisten bleibt ihr einheitlicher Gott und den Christen ihr
dreieiniger Gott, aber er wird ihnen beleuchtet mit der Fackel der Wahrheit
vom Geiste der Wahrheit, der da ist der Leib von Gott. Der Geist "Gott"
kann nicht herabsteigen zu den Menschen und ihnen die Fackel vor Augen
halten, aber die Glieder seines Leibes, die Füsse und Hände Gottes,
die reichen herab bis zur Erde und halten den Menschen die Fackel vor Augen,
damit jeder erkennen könne seinen Gott. Und wenn jeder erkannt haben
wird seinen Gott bei dieser Fackel, dann werden sie alle ausrufen: "Was
ist das für ein Unterschied zwischen meinem Gott und deinem Gott?
Wir haben ja alle einen gleichen!" und werden sich vor Freuden die Hände
reichen und werden sich lieben können des einheitlichen Gottes wegen,
den sie bei der Fackel der neuen Offenbarung gefunden, den sie aber in
dem finstern Sack ihrer Religionen nicht haben finden und sich deshalb
nicht haben lieben können, weil jeder meinte, er hätte in seinem
Sacke einen andern, einen bessern, einen wahrern Gott. Der wahre Gott aber
ist nur einer, nur der Sack ist es, der ihn verschieden macht, der Sack
(Religion), in den die Menschen diesen Gott gesteckt. Jede Sekte hat sich
Gott nach Gefallen anders gekleidet, und der gute Gott hat sich müssen
knebeln lassen durch die Sekten-Mode, hat müssen mit der Mode gehen,
wenn er überhaupt hat bleiben wollen auf der Welt. Aber, liebe Menschen,
die Fackel der neuen Offenbarung wird anzünden und verbrennen diesen
Mode-Sack, und ist der Sack verbrannt, dann wird der Gott nackt vor den
Menschen stehen, dann werden sie nicht sagen können, dass der Gott
der einen oder der andern besser, schöner, wertvoller sei, denn eines
jeden Gott wird unverhüllt dastehen und allen gleicherweise gefallen,
jedoch nicht sofort, sie werden sich erst nach und nach an ihn gewöhnen
müssen; den Priestern von Profession aber wird er nie gefallen: die
werden sich nie an ihn gewöhnen, die werden nie einen nackten Gott
anerkennen!" (Fussnote 10)
"Ein grossartiges Bild", sagte Hallerstede, "klar und
logisch, und man braucht sich dabei das Gehirn nicht zu verrenken. Da kommt
ja der alte Protagoras wieder zu Ehren mit seinem Wort "der Mensch ist
das Mass aller Dinge", und auch die abgeleierte, mir zuwider gewordene
Phrase, der Mensch sei das Ebenbild Gottes, bekommt einen neuen Sinn."
"Ja, aber verstehe recht: er ist nicht das Ebenbild Gottes,
sondern der Gottheit. Die Worte Gott und Gottheit werden mitunter zwar
in demselben Sinne gebraucht, aber das ist nicht richtig, wie wir nun wissen."
"Ich bemerke hier einen Widerspruch, mindestens eine
Unklarheit. Dieser Geist sagt, dass weder die Messiasse noch die heiligen
Geister abweichen können und nicht anders tun können als Gott
denkt und will, während der Autor des Schöpfungsberichtes von
"vollkommener Freiheit" spricht. Da muss doch einer sich irren. Auch wir
sind ja übereingekommen, dem erschaffenen Geiste nur eine relative
Freiheit zuzugestehen."
"Der Widerspruch ist nur scheinbar. Wir halten jemand
für vollkommen frei, wenn er tun kann, was er will, wenn nichts ihn
hindert und nichts ihn zwingt. Theoretisch; in Wirklichkeit ist kein Mensch
so vollkommen frei. Wenn nun, wie es heisst, die heiligen Geister nicht
anders tun können als Gott denkt und will, also scheinbar unfrei sind,
so ist dabei zu bedenken, dass sie ihren Willen aus freiem Entschluss dem
Willen Gottes untergeordnet haben, sie sind freiwillig unfrei, sie wollen
nur was Gott will, und können also tun was sie wollen."
"Frei und unfrei zugleich", sagte Mechthildis, "ein seltsames
Verhältnis, etwa so, wie wenn Brautleute sagen: mit Willen dein eigen!"
"Richtig. Es kommt eben darauf an, von welcher Seite
man es betrachtet. Von der Seite der Logik gesehen, hat das Verhältnis
des heiligen Geistes zu Gott den Schein der Unfreiheit, praktisch aber
fühlt der Geist sich frei, er ist glücklich dabei und wünscht
es nicht anders. Wir unterscheiden also drei Hauptstufen der Freiheit:
die Freiheit des neugeschaffenen Geistes, die Freiheit des gefallenen und
des einverleibten Geistes (des Menschen) und die Freiheit des vollkommenen
Geistes. Jede dieser Stufen hat ihre besondern Umstände und muss nach
diesen Umständen beurteilt werden."
"Die Behauptung, dass wir unsere Geistesjugend in geistigen
Paradiesen verbracht haben, lässt vermuten, dass es mit dem Paradiese
eine andere Bewandtnis hat als in der Bibel steht."
"Die Sage vom Paradiese, die sich bei vielen Völkern
findet, ist eine dunkle Erinnerung an diese unsere glückliche Vergangenheit.
Das Paradies in der materiellen Form, wie die Bibel es beschreibt, hat
nie existiert, und es ist unnütze Mühe, seinen Ort auf der Erde
bestimmen zu wollen."
"Dann hat wohl auch das Pfingstwunder, die Ausgiessung
des heiligen Geistes einen andern, einen vernünftigen Sinn", bemerkte
Mechthildis, "aber welchen? Ich verstehe nicht, was die äussern Zeichen
dabei bedeuten sollen."
"Die äussern Zeichen, das Zungenreden und die leuchtenden
Flammen kennzeichnen jenes Ereignis als spiritistische Sitzung im grossen,
wie sie in diesem Umfange in der Geschichte vielleicht einzig dasteht,
vorausgesetzt, dass der Bericht nicht übertreibt. Der moderne Spiritismus
bietet Beispiele, dass Medien schreiben oder sprechen in Sprachen, die
ihnen fremd sind, und auch das Erscheinen von leuchtenden, kalten Flammen
wird beobachtet. Die Jünger Christi waren Medien, die unter den Einfluss
gleichgesinnter Geister gerieten, welche durch sie in allerlei Sprachen
redeten und, wie es im Bericht heisst, die grossen Taten Gottes verkündeten.
Die Beeinflussung der Menschen durch Geister ist sehr häufig und so
alt wie die Menschheit und durchaus nicht auf sogenannte Medien beschränkt.
Besonders Künstler, Dichter und Erfinder empfangen Einfälle,
Gedanken, Anregungen von hilfreichen, gleichgesinnten Geistern, ohne dass
sie davon wissen. Das ist nicht erstaunlich. Die Gedankenübertragung
von Mensch zu Mensch ist eine auch von der Wissenschaft anerkannte Tatsache.
Nun aber sind wir unserem Wesen nach Geister, und nicht das Gehirn, sondern
der Geist ist der wahre Sender und Empfänger der Gedanken. Am leichtesten
ist die Gedankenübertragung von Geist zu Geist, ja sie ist die eigentliche
Sprache der Geister. Vom Geist auf den Menschen und vom Menschen auf den
Geist ist sie aber auch möglich, obwohl weniger leicht, eben weil
ein isolierendes Gehirn dazwischen steht; sie ist aber immer noch leichter
als die Übertragung von Mensch zu Mensch, wobei der Widerstand zweier
Gehirne zu überwinden ist, daher sie denn auch unter Menschen nicht
häufig vorkommt. Da wir nun auch als Menschen beständig im Jenseits,
also in der Geisterwelt leben, macht es den Geistern keine Schwierigkeit,
bei uns zu sein und sich die passende Gesellschaft unter uns auszusuchen
gemäss der Anziehung des Gleichen und Ähnlichen, sodass der gute
Mensch von guten Geistern, der böse Mensch von bösen Geistern
umgeben ist und von ihnen beeinflusst werden kann, je nach dem Grade seiner
Empfänglichkeit."
"Sehen die Geister uns so, wie wir sind?" fragte Erna.
"Sie sehen nicht unsern Körper, sondern unsere Seele
und erkennen an ihrer fluidischen Beschaffenheit unsern Charakter, sodass
sie die ihnen zusagenden Menschen leicht herausfinden. Darin liegt die
Gefahr, dass niedere, leidenschaftliche Geister moralisch nicht feste Menschen
zu Torheiten und Verbrechen reizen und verführen können und dies
auch tun, wahrscheinlich gar nicht selten. Tatsache ist die Besessenheit,
über welche aufgeklärte Ärzte lachen, obwohl man ihnen die
Besessenheit handgreiflich vorführen kann bei der Hypnose, wo der
stärkere Menschengeist den schwächeren beherrscht, während
bei der eigentlichen Besessenheit der beherrschende, den Menschen plagende
Geist nicht einverleibt ist. Das ist der Unterschied. Umgekehrt können
auch wir die Geister beeinflussen, da sie ja unsere Gedanken wahrnehmen.
Jetzt z.B. sind zweifellos viele Geister bei uns und lauschen unserer Unterhaltung,
um sich daran zu belehren. Meine Kollegen haben mir zwar die Kanzel genommen,
aber dass ich hilfsbedürftigen Geistern predige ohne Kanzel, wo es
mir gefällt, das können sie mir nicht verwehren."
Hallerstede lachte. "Da du für die Predigten nichts
bekommst und die Kirche von deiner Arbeit keinen Schaden mehr hat, werden
deine Kollegen dir diese Zuhörer gewiss gern gönnen."
"Ich zweifle nicht daran. Jeder hat die Zuhörer,
die er verdient. Vielleicht befinden sich unter ihnen einige ehemalige,
bornierte Geistliche, denen auf diese Weise das Licht besserer Erkenntnis
zuteil wird. Aber Scherz beiseite. Die Verbindung der Menschen mit der
Geisterwelt ist viel inniger als die Menschen wissen; wüssten sie
es, so würden sie mehr achtgeben auf ihre Gedanken und weniger mit
bösen Gedanken spielen. Gedanken sind zollfrei, heisst es. Gewiss,
aber im Jenseits bleiben sie nicht verborgen und geben sie niedern Geistern
Gelegenheit, die Menschen bei der schwachen Seite zu packen und zur Sünde
zu verleiten. Fahren wir fort."
"Eine heilige, allgemeine, christliche Kirche, die
Gemeinschaft der Heiligen."
"Zu dieser wahrhaft christlichen Kirche d.h. Gemeinschaft,
gehören alle Menschen und Geister, die im Sinne Christi leben, gleichviel,
welcher Konfession sie angehören. Das äussere Bekenntnis hat
vor Gott gar keinen Wert, vor ihm gibt es keine alleinselig machende Kirche
und auch kein auserwähltes Volk, er urteilt nach dem Wesen, nicht
nach der Form. Der Gemeinschaft der Heiligen werden wir teilhaftig, sobald
wir unsern Bruch mit Gott wieder gut gemacht haben."
"Vergebung der Sünden."
"Sünden gegen Gott werden von Gott vergeben; Sünden
gegen Menschen vergibt der Mensch, gegen den gesündigt wurde.
Sünden gegen sich selbst kann der Mensch nicht vergeben, die müssen
gesühnt werden. Hat der Sünder gesühnt, gut gemacht, dann
vergibt ihm auch Gott."
"Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben."
"Die Lehre von der Auferstehung des Fleisches beruht
wieder auf missverstandenen Bibelworten, zum Teil wohl auch auf dem Unvermögen
der Väter dieser Lehre, sich ein Leben ohne materiellen Körper
vorzustellen. Ihr Denken war noch nicht so scharf wie das moderne Denken,
und es fehlte ihnen auch die Kenntnis der Beschaffenheit der Geister und
der Geisterwelt, eine Kenntnis, die wir den Mitteilungen der Geister selbst
verdanken. So entstand aus Irrtum und Unwissenheit dieser Glaube, dem auch
heute noch zahllose Menschen fest anhangen. Über das Wie und Wo des
ewigen Lebens des Fleisches machen diese Gläubigen sich keine Sorgen,
sie vertrauen der Allmacht, dass sie ihnen die nötigen Leiber wieder
verschaffen werde. Ob nun der Geist im eigentlichen Sinne des Wortes ewig,
d.h. endlos lebt oder eine begrenzte Ewigkeit von vielleicht einigen Milliarden
oder Billionen Jahren, das können wir aus der Erfahrung nicht wissen,
da kann die Vernunft uns nur zu dem Glauben führen, dass wir endlos
leben werden. Man kann fragen: ist es eines weisen Gottes würdig,
ein Kunstwerk, das der vollkommene Geist doch nun einmal ist, entstehen
zu lassen in der Voraussicht oder zu dem Zweck, dass es nach einiger Zeit
wieder vergehe? Ich kann dem Schöpfer eine solche Sinnlosigkeit nicht
zutrauen."
"Was mich betrifft", warf Hallerstede ein, "so gestehe
ich, dass der Gedanke der Ewigkeit mich bedrückt, ja mir Grauen erregt.
Leben, leben, endlos leben ist mir ein furchtbarer Gedanke. Hat Gott nicht
auch diesen Fall vorgesehen, dass seine Geschöpfe ein ewiges Leben
gar nicht wünschen können, und sei es auch ein Leben ewiger Seligkeit?"
"Ob er diesen Fall vorgesehen, weiss ich nicht. Aber
ich verstehe deine Beklemmungen, da ich selbst zuweilen grillenhafte Stunden
hatte. "Wenn an der Ewigkeit Meer schaudernd der Sterbliche steht", kann
ihm wohl der Gedanke kommen, dass Nicht-sein besser wäre. Solche Gedanken
sind fast unvermeidlich, wenn endliche, unvollkommene Wesen wie wir sich
das Unendliche vorzustellen versuchen, besonders wenn Vorstellungen von
Leid und Not und Unvollkommenheit mit einfliessen. Schon die altindische
Philosophie, vielleicht veranlasst durch ähnliche Erwägungen,
hat über den Gegenstand spekuliert, sie hat die Lehre aufgestellt,
dass nach bestimmten, Milliarden von Jahren zählenden Perioden eine
Welt verschwinde, und wieder erscheine: Brahma, die oberste Gottheit, atmet
aus, und eine Welt entsteht, sie atmet ein, und diese Welt vergeht. Solche
Perioden des Seins und Nichtseins der Erscheinungswelt nennen die Inder
die Tage und Nächte Brahmas. Über den Wert oder Unwert dieser
Lehre sage ich nichts, vielleicht ist sie nur eine der vielen Spekulationen,
worin die üppige Phantasie der Inder sich gefällt. Dagegen bestreite
ich nicht, dass hier ein grossartiger Gedanke sich in ein schönes,
anschauliches Bild gehüllt hat. Du siehst also, dass schon vor Jahrtausenden
die Menschen ähnliche Beklemmungen gehabt haben wie wir und ihnen
auf jedenfalls originelle Art zu entgehen suchten. Ich halte diese Empfindung
des Grauens vor der Ewigkeit für einen Ausfluss unserer Unvollkommenheit
und wohl auch Gemütsverstimmung, deren sich ein feinfühliger
Mensch nicht immer erwehren kann, wenn er sonst zu Grübeleien neigt.
Gesunde, lebensfrohe Menschen kennen diese Grille nicht, und die Vollkommenheit
schliesst sie aus. Bedenke, dass du als Mensch mit verstimmten Nerven das
Grauen vor der Ewigkeit empfindest, aber nicht als unvollkommener Mensch,
sondern als vollkommener Geist wirst du ewig leben und wirst dann auch
erkennen, dass Zeit und Raum nicht so sind, wie sie uns jetzt erscheinen.
Ich möchte ihre Wirklichkeit nicht bezweifeln, obwohl auch solcher
Zweifel sich begründen liesse, aber das Fernsehen in Zeit und Raum
nötigt uns zu der Ansicht, dass wir Menschen das wahre Wesen von Raum
und Zeit nicht kennen und dass wir als vollkommene Geister mit anderm Wahrnehmungsvermögen
sie auch anders wahrnehmen werden - wie, weiss ich nicht, ich vermute aber,
dass uns dereinst seltsame Überraschungen bevorstehen. Übrigens
ist diese Frage nicht wichtig und nicht vordringlich. Erst wollen wir streben,
vollkommene Geister zu werden, und wenn wir dann noch Grillen haben sollten,
wird Allvater, der unser Glück will, gewiss irgendwie Abhilfe schaffen."
Fussnote 6: Jesaias 43,1 heisst es: Fürchte dich nicht, denn ich
habe dich erlöset; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist
mein.
Fussnote 7: Reformierende Blätter zur Bildung reiner Ethik II,
305 - Eine Erläuterung der Schriften des Neuen Testaments, in den
siebziger Jahren des vorigen [19.] Jahrhunderts medianim geschrieben von
den Autoren dieser Schriften durch die Medien A. von Vay, Elise Weidenheim
und Anton Prochaska. Ein überaus wertvolles Werk, neben "Geist-Kraft-Stoff"
und "Kundgebungen des Geistes Emanuel" das beste, was auf diesem Gebiet
existiert. Man gewinnt aus ihm einen klaren Begriff vom Wesen des wahren
Christentums, und zwar besonders in ethischer Hinsicht. Die Autoren geben
keine Textkritik, sie erläutern die Schriften, so wie sie sind, nach
den Prinzipien von "Geist, Kraft, Stoff". Die angebliche Autorenschaft
der Apostel und Evangelisten wird, wie nicht anders zu erwarten, allseitig
starken Zweifeln begegnen, Zweifeln allerdings, die auf Unwissenheit und
Vorurteil beruhen. Hierüber in eine Erörterung einzutreten hätte
vielleicht nur dann einen geringen Zweck, wenn die Zweifler ihre Einwände
auf die Kenntnis dieses Werkes stützen könnten. Dies kann aber
vorläufig nicht geschehen, da sowohl dies Werk wie auch "Geist, Kraft,
Stoff" und das unter 5 genannte Werk im Buchhandel total vergriffen sind.
Fussnote 8: Dies ist die Lehre der (Adyar-) Theosophie,
die auf H.P. Blavatsky's Werk: "Die Geheimlehre" und auf brahmanischen
Quellen beruht und systematisch dargestellt ist von Frau A. Besant
in mehreren Werken, von welchen "Die uralte Weisheit" besonders genannt
sei. Blavatsky sagt: "Kein Wesen, es sei englisch [engelsgleich]
oder menschlich, kann den Zustand von Nirwana oder der absoluten Reinheit
erlangen, ausgenommen durch Äonen des Leidens und durch die Erkenntnis
des Bösen sowohl wie des Guten, da im andern Falle das letztere
unverständlich bleiben würde." (Geheimlehre II. 85). Die indische
Theosophie kennt nicht den "Sündenfall" in dem in dieser Schrift gegebenen
Sinne, sie erklärt ihn als das Herabsteigen des Geistes in die Materie,
oder als die Teilung der ursprünglich androgynen (mann-weiblichen)
Menschen (Fall in die Zeugung) und auf noch andere Art. "Es gibt sieben
Schlüssel zu den Geheimnissen des Falles. Obendrein gibt es zwei "Fälle"
in der Theologie: die Empörung der Erzengel und ihren "Fall" und der
Fall von Adam und Eva". (Geheimlehre II 65, 183, 507, 514). Man kann den
"Fall" so auffassen, und diese Auffassungen sind sympathischer als der
biblische Bericht über den "Fall" von Adam und Eva, aber sie können
nicht mehr beanspruchen als den Wert von Hypothesen, besonders nachdem
die höhere Geisterwelt uns über den Sündenfall eine Belehrung
gegeben hat, die der Wahrheit anscheinend am nächsten kommt.
Der Unterschied zwischen Theosophie und Christentum (nicht
Kirchentum) lässt sich kurz so ausdrücken: Die Theosophie ist
eine Weisheitsreligion, lehrt Weisheit mit Liebe; das Christentum, wie
wir es jetzt kennen aus den neuen spiritistischen Offenbarungen, ist eine
Liebesreligion, lehrt Liebe mit Weisheit. Beide Wege, wenn ernst gewandelt,
führen an's Ziel und vereinigen sich schliesslich, darum hat es keinen
Zweck, den einen gegen den andern auszuspielen; es ist lediglich eine Frage
der individuellen Einstellung, welchen Weg man gehen will. Gleichwohl kann
man fragen, ob beide Wege gleich schwer zu gehen sind, ob sie gleiche Möglichkeiten
des Irrens bieten und ob sie gleich lang sind. Der Grundsatz der Theosophie
"Keine Religion ist höher als die Wahrheit" klingt sehr bestechend,
und man könnte ihm auch zustimmen, wenn man gewiss wäre, immer
die Wahrheit zu haben. Leider ist dem nicht so; alle Kirchen, Sekten und
Philosophien halten ihre Meinungen für Wahrheit, meist sogar für
die
Wahrheit, und wegen dieser vermeintlichen Wahrheit haben sie keinen Frieden
miteinander. Richtiger ist der Grundsatz: Keine Religion ist höher
als die Liebe. Denn was Liebe ist, wissen alle Menschen, darüber sind
sie bald einig, darüber gibt es keinen Streit. Darum ist das richtig
verstandene Christentum der kürzere und einfachere Weg. Dass die Kirchen
dieses Christentum nicht richtig lehren und leben, ist nicht Schuld des
Christentums, sondern der Menschen.
Die Theosophie hält sich starr an das einseitig
verstandene Karmagesetz und überschätzt infolgedessen die Anzahl
und die Bedeutung der Einverleibungen des Geistes auf der Erde. Sie übersieht,
dass es auch im Jenseits Mittel und Wege zur Fortbildung gibt und dass
es nicht durchaus nötig ist, dass der Geist sich bis zur erlangten
Vollkommenheit immer wieder und nur auf der Erde einverleibt. Es steht
ihm frei, dies zu tun, aber er muss nicht. Wenn er sich aber zur fixen
Idee gemacht hat, dass er es müsse, dann allerdings wird er es auch
tun, eben weil seine Idee sich zu realisieren sucht; dann geht er den längeren
Weg, wo ein kürzerer ihm offen steht.
Die Theosophie ist sehr logisch aufgebaut und mit den
feinsten und äussersten Konsequenzen, logisch bis zur Starrheit. Das
ist ihre Stärke, aber auch ihre Schwäche, denn es fragt sich,
ob die Grundlage der Theosophie, das Karmagesetz, stark genug ist, den
ganzen Bau zu tragen. Mir scheint, dass die Theosophie die Liebe und Freiheit
zu wenig berücksichtigt und dass die Entwicklung des Geistes, unbeschadet
der Gesetzmässigkeit, nicht so schematisch verläuft, wie die
Theosophie lehrt.
Die Ethik der Theosophie ist klar und schön dargestellt
in dem Büchlein von Krishnamurti: Zu den Füssen des Meisters.
- Ein sympathisches Büchlein, das Empfehlung verdient, obwohl die
darin gegebene Ethik nicht die Höhe der Ethik des Christentums erreicht.
Fussnote 9: Dies ist der entscheidende Punkt in dem Streit
um die Realität der behaupteten spiritistischen Erscheinungen. Die
Gegner leugnen sie mit der Begründung, dass sie den Naturgesetzen
widersprechen. Das würden sie tun, wenn gewiss wäre, dass unsere
Kenntnis der Naturgesetze schon vollkommen sei. Aber diese Kenntnis ist
nicht vollkommen, denn immer wieder zwingen neue Tatsachen der Naturforscher,
ihre Ansicht von der Ordnung der Dinge zu ändern. Wie fest und unangreifbar
schien die Atomtheorie begründet zu sein, bis die Entdeckung der Radioaktivität
ein grosses Umlernen nötig machte. Wer da weiss, dass unsere Sinne
nur einen geringen Teil der Welt wahrnehmen und noch dazu mangelhaft, wer
also bedenkt, dass unser Wissen sich zum Nichtwissen verhält wie der
Tropfen zum Ozean, der wird nicht mehr die engen Grenzen seines Wissens
mit den unberechenbaren Grenzen des Möglichen und Wirklichen verwechseln
und nicht eine Erscheinung, die er nicht erklären kann, eben darum
für unmöglich ausgeben. Er wird aber seine Sinne offen halten
für neue Tatsachen, er wird sie unbefangen prüfen und nach ihnen
seine Theorien bilden, und er wird nicht, wie es leider so oft geschieht,
Tatsachen verwerfen, weil sie in den zu engen Theorien keinen Platz finden.
Manche Wunder Christi haben ihr Gegenstück im Okkultismus
und Spiritismus und unterscheiden sich von ihnen nur im Grade, nicht im
Wesen. Sie geschahen nach denselben Gesetzen, die noch heute für diese
Erscheinungen gelten, und auch die grösseren Wunder, für welche
das Gegenstück heute noch fehlt, lassen sich nach diesen Gesetzen
als möglich erklären und brauchen nicht in das Gebiet der Fabel
verwiesen zu werden. Das Wunder existiert nicht in Wirklichkeit, sondern
nur im Verstande derer, welche meinen, dass diese Art von Tatsachen ausserhalb
aller Gesetzlichkeit stehe. Für den Wilden, der die Gesetze der Physik
nicht kennt, ist der moderne Physiker und Elektriker vergleichsweise ein
eben solcher Wundertäter, wie Christus vermöge seiner Kenntnis
der Naturgesetze es ist für uns.
Was nun das Abwälzen des Steines vom Grab betrifft,
so will ich die Tatsächlichkeit weder behaupten noch bestreiten; die
gegebene Erklärung soll nur zeigen, wie ein solcher Vorgang geschehen
könnte.
Für das Erlösungswerk Christi hat die Episode am Grabe keine
Bedeutung; um aber die Auferstehung kund zu tun, dazu war erforderlich
und genügte auch, dass der Meister sich den Jüngern und andern
Anhängern in seinem bis zur Sichtbarkeit und Greifbarkeit verdichteten
Fluidkörper zeigte. Das leere, offene Grab allein - ohne das
Erscheinen des Meisters - wäre kein Beweis der Auferstehung gewesen.
Wenn ich zur Erklärung der Wunder Christi auf physikalisch-mechanische
Phänomene hinweise, so weiss ich wohl, dass die Realität dieser
Phänomene heftig bestritten wird. Aber wenn auch einige dieser Phänomene
sich als Täuschung durch betrügerische Medien erweisen sollten
- nicht alle sind Täuschung - so ist damit die Möglichkeit und
Wirklichkeit der Wunder Christi nicht widerlegt, und auch der Spiritismus
ist damit nicht erledigt. Der Spiritismus kann auf künstlich herbeigeführte
physikalisch-mechanische Phänomene verzichten, die Unsterblichkeit
lässt sich durch andere Tatsachen genügend beweisen. Seine eigentliche
Bedeutung liegt auf geistigem Gebiet. Für den ethischen Fortschritt
der Menschen hat es wirklich keinen Wert, wenn physikalisch-mechanische
Phänomene auf absonderliche Weise geschehen, aber Mitteilungen über
das Leben nach dem Tode können unser Erdenleben entscheidend beeinflussen.
Fussnote 10: Ref. Blätter III 29, 33.
Letzte Änderung am 14. Nov. 2002
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